60 Jahre Dubrovnik-Sommer-Festival - Von Shakespeare bis Jan Fabre, der Sommer in Kroatien(yourPR) - (von Dieter Topp) Das Dubrovnik Summer Festival hat seit 60 Jahren die Politik überlebt und trotzt nun mit seinem reichhaltigen Programm der Rezession. Im Juli und August verströmt es den Duft kultureller Atmospäre über die Perle der Adria. Der zuständige Leiter für das musikalische Programm, Neven Frangeš, hat in diesem Jahr ein glückliches Händchen bewiesen: Er setzt auf einheimische Stars, ihr Können und ihre Ausstrahlung und liegt damit genau richtig. Man merkt ihm das musikalische Talent als Komponist, seine Liebe zum Jazz und die jahrzehntelange praktische Erfahrung beim musikalischen Festivalbetrieb an.
Eine farbenprächtige Eröffnungszeremonie und anschließende Operngala mit dem Philharmonischen Orchester Zagreb unter der Leitung von Vekoslav Šutej bringen die Begeisterung der Besucher in Schwung, die brillanten Stimmen von Nadja Michael (Sopran) und Zoran Todorovich (Tenor) lassen das Publikum trotz größter Nachthitze in der Mitte des Open-Air-Theaters “Stadt Dubrovnik” aufkochen.
Die Stadt präsentiert sich als Open-Air-Bühne, worauf zum einen die wallenden Besucherströme und andererseits die Künstler Tag und Nacht ihr Spektakel aufbieten. Krieg und Zerstörung der Stadt vor mehr als einer Dekade sind vergessen, wenn die “Piano-Veteranen” Pavica GvozdiÄ� und Vladimir Krpan, die seit 40 Jahren dem Festival treu zur Seite stehen, mit Brahms, Paganini und Haydn im Atrium des Rektoren-Palasts aufspielen.
Das Dubrovnik-Symphonie-Orchester hebt unter spektakulärem Dirigat von Noorman Widjaja mit Pianistin Dubravka TomšiÄ� und Wagner, Beethoven und Tschaikowski zu bislang unbekannter Höchstleistung an. Das Zagreb-Quartett und Krešimir Špicer bezaubern mit Haydn und Monteverdi. Der stimmgewaltige Tenor, weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt, erzielte 2000 beim französischen Aix-en-Provence-Festival seinen internationalen Durchbruch, der ihn sowohl nach St. Petersburg, Lausanne, Bordeaux, Paris, London, New York und Wien brachte.
Der Wiener Konzertverein und Paul Badura-Skoda, das HRT-Symphonie-Orchester, das Tartini-Streichquartett, das Varaždin-Kammerorchester (mit Sopranistin Inva Mula und den drei Trompetern Vedran Kocelj, Marin ZokiÄ� und Dario Teskera), Ensembles wie das Gitarren-Duo Zoran DukiÄ�, Maroje BrÄ�iÄ�, die Cellisten David Eggert, Luca ŠuliÄ�, der Gitarrist Petrit Ceku und viele andere entpuppen sich als die idealen musikalischen Botschafter, um den Steinen der gewaltigen Stadtmauern und ihren darin liegenden Kirchen, Palästen und Bürgerhäusern hunderte Jahre Geschichte zu entlocken.
Vielleicht wären die Verantwortlichen von Politik und Verwaltung gut beraten, einen Plan für die Einbeziehung der Stadt als Gesamtspielstätte und somit als eine Art Gesamtkunstwerk für das Festivalgeschehen zu entwickeln.
Bedauerlich, dass sich diese positive Stimmung dann wieder in lauten, Alkohol geschwängerten Gassen verliert, anstatt eine inszenierte Fortsetzung an den zahlreich vorhandenen Plätzen und Orten zu finden. Hier beherrschen bedauerlicherweise “Pizza und Pasta” das Geschehen in Dubrovnik, das droht, sich zur größten Kneipe Europas zu entwickeln, wenn dem nicht Einhalt geboten werden kann. Der Immobilienausverkauf an Spekulanten und osteuropäische Finanzmagnaten ist schon längst vonstatten gegangen, der kulturelle Niedergang Dubrovniks steigt am Horizont der Adria wie eine schwarze Gewitterwolke auf.
Renaissance-Theater spiegelt die Wirklichkeit der Stadt Dubrovnik - Komödiantisch gelungenen Auseinandersetzung mit der Realität.
Und dann wieder zurück in die Vergangenheit zu Marin DržiÄ�, dem Renaissance-Schriftsteller von Dubrovnik. Ihm setzt die Theatersektion des Festivals ein Denkmal. Natürlich darf Shakespeare nicht fehlen, und den hat man 2009 mit der neuesten Produktion von Altmeister Peter Brook eingekauft. “Love is my Sin”, so heißt der Abend mit Sonetten und u.a. Ehefrau des ehemals bedeutenden Theatermachers, der mit simpler Dichterlesung zwar die englischen Fans anlocken, aber keinen Meilenstein in diesem Jahr setzen konnte.
Wie leicht und lebenslustig wirken dagegen die Komödien “Epitaphio”, “Worte aus dem Gebirge” und “Der Geizhals” aus der Feder des „kroatischen Shakespeares“ Marin DržiÄ�. Mit dem fragmentarischen “Arkulin” und dessen Komplettierung hat Regisseur Krešimir DolenÄ�iÄ� das “wahre Theater” geschaffen. Es ist ihm gelungen, aus der Geschichte von kleinen und großen Bürgern, von Liebe und Zauber, Nachbarschaftsstreit und Eifersucht, den kleinen und großen Gaunern, die Realität des 21. Jahrhunderts zu entdecken, und dafür sind ihm die Besucher seit drei Jahren dankbar und treu. Zusammen mit Set-Designerin Dinka JeriÄ�eviÄ� und Lichttechniker Deni SesniÄ�, Kostümbildnerin Danica Dedijer, Choreograph Miljenko ViciÄ� und letztlich dem Komponisten Stanko JuzbasiÄ�, der mit seiner Musik dem Stück das Feeling von Adria-Tourismus der 60er Jahre audiotechnisch perfekt illusioniert, kreierte DolenÄ�iÄ� ein Bild der Dubrovnik-Realität 2009. Hier geht es um Einfluss und Geld, dem Ausverkauf von menschlichen und kulturellen Gütern. Die Wahrheit des Stücks liegt “zwischen den Zeilen”, und das hat der Regisseur zwischen Alltagsgenre und Fantastischem exzellent herausgearbeitet. Damit sicherte er diesem Stück Renaissance-Theater das Überleben in Dubrovnik. Nicht die sonst üblichen langen Ausführungen, hier geht es Schlag auf Schlag. DolenÄ�iÄ� schlug mit Bravour eine Brücke über 500 Jahre hinweg, ohne Werk und Dichter zu seinem dramaturgischen Werkzeug zu degradieren.
“Orgie der Toleranz”, so nennt Jan Fabre seinen Festivalbeitrag, eine chilenisch, amerikanisch, deutsch, belgisch, französisch und kroatische Koproduktion, die auf das Switch-Tempo und den geistlosen Konsum der PC-Generation fokussiert und mit ständiger Provokation einen aufkeimenden NEO-Faschismus anprangern möchte. Absurde Sketchfolgen steigern sich von bieder Alltäglichem bis zur totalen Überhöhung in der Darstellung mit Musik und Tanz und zielen darauf ab, zu einem Gelächter provozieren, das im Hals erstickt: Konsum, Politik, Sex.
In seiner gesamten Konsequenz hat uns Fabre wohl einen temporeichen Fabre kreiert. Das Ziel in diesem Spektakel, nur für Erwachsene, soll Liebe heißen. Aber die Besucher klatschen sich vor Vergnügen oder Lust am Slapstick laut auf die Schenkel, wenn durchtrainierte Körper ihre sexual-akrobatischen Übungen absolvieren, und dabei keimt die Vermutung bei vielen Besuchern auf, dass hinter all den Zitaten von Pasolini über Monthy Python bis Frank Zappa und Madonna die intellektuellen Aspekte vorgetäuscht sein könnten, dass die totale Provokation dieser Inszenierung lediglich Selbstzweck ist. Er ist nicht mehr glaubhaft.
Hat nicht Fabre schon lange ein Schickimicki-Label kreiert und protestiert nun gegen all die anderen, die sich genau so wie er im Markt um den Konsum als Teil der zerstörerischen Gewalt der Globalisierungsmaschinerie einbringen und an der allgemeinen Verdummungstrategie mitverdienen. “Fuck you, Jan Fabre”, heißt es zum Schluss der Revue. Wie diese Aussage zutrifft!
Höhepunkt des zeitgenössischen Theaters Ganz anders Gordan Tudor, dessen Saxophonspiel und moderne Kompositionen in Europa und den Staaten geschätzt werden, nennt sein Erstlingswerk “The Plummer”, ein Musik- und Bühnenwerk “zeitgenössischer (nicht)seriöser Musik”. Zusammen mit Choreographin Natalija ManojloviÄ� schuf er ein Ballet nach Motiven von Boris Vian, dem französischen Schriftsteller des schwarzen Humors, Poeten, Übersetzer, (Chanson)Sänger, Ingenieur und Erfinder, der 1959 mit knapp 40 Jahren starb, ein Stück Humoreske, ein Spiel zwischen Realität und Horror, in einer Avantgarde-Schreibe, die noch bis weit in die Zukunft hineinreicht. Anlässlich der 25. Music Biennale Zagreb 2009 entstand ein “Hub” unterschiedlicher musikalischer Pfade für fünf Musiker, ein Laptop und dem Libretto für vier Darsteller. Letztere agieren und verbrennen in einer Grauzone zwischen scheinbar unschuldigem bis hin zu unfassbar devotem Spiel, physisch äußerst gefährlichen Bewegungen, Drehungen, Stürzen, aneinander Vorbeirauschen, Erscheinen und Verschwinden.
Alles dreht sich um eine Art Brücke unter und aus welcher alles und jeder her zu kommen scheint, etwas völlig Neues in Sachen Ballett, ein Katalog gänzlich irrer Bewegungen und Grimassen in Aktion und in Ruhe. Hier hat ManojloviÄ� zu Tudor’s Klangteppich aus Postmoderne und humorvollen Live-Experimenten zwischen Stravinsky, Milhaud, Sati und Poulenc den “Wasserinstallateur” geschaffen, eine Story, die sich zwischen Ort und Zeit hin und her bewegt, Geschichten des Binnenverhältnisses von Nachbarn, schäbiger Prostitution, Abtreibung, Soldatentum, nicht vom Krieg erfasst, aber im totalen persönlichen Krieg endend.
Detoni beschreibt dieses Werk als ein Beispiel schwarzen Balletts. Dean KrivaÄ�iÄ�, Ivanan PavloviÄ�, Nino Bokan und Judita FrankoviÄ�, die Tänzer, überraschen den Besucher am Ende der Vorstellung erstaunlich lebendig, wenn auch mit Blessuren übersät. Hier zeigt sich, wie Zeitgeschichte und zeitgenössisches Ballett voranschreiten, aus der Vergangenheit schöpfen und sich selber atemberaubend neu erschaffen. Ein wichtiger Schritt für zeitgenössischen Tanz, zwei Schritte für das Qualitätsimage des Dubrovnik-Summer-Festivals.